Zukünftige Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik nimmt Fahrt auf

,

Die zunehmende Zahl dezentraler Erzeugungsanlagen führt zu stärker schwankender Einspeisung und macht umfangreiche Netzausbauten erforderlich. Gleichzeitig nimmt der Stromverbrauch zukünftig auf allen Netzebenen zu. Schon heute rechnen Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber mit einem Investitionsbedarf von rund 360 Milliarden Euro bis zum Jahr 2045. Die größte Herausforderung für die Netzinfrastruktur liegt in der zunehmenden Gleichzeitigkeit von Stromerzeugung und -verbrauch.

Bislang werden die Netzkosten ausschließlich von den entnehmenden Netznutzern getragen – ein Ansatz, der angesichts der aktuellen Entwicklungen auf den Prüfstand gehört. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) untersucht daher neue Modelle für die künftige Struktur der Netzentgelte. Dabei stehen vier zentrale Aspekte im Fokus: Kostenorientierung, Anreizwirkung, faire Beteiligung an der Finanzierung und praktische Umsetzbarkeit.

Im aktuellen Diskussionspapier stellt sie fünf zentrale Fragestellungen zur Diskussion. Die Entwürfe der Szenariorahmen wurden im Sommer 2024 von den Stromübertragungs- bzw. Gasfernleitungsnetzbetreibern vorgelegt und von der Bundesnetzagentur unter Berücksichtigung der energiewirtschaftlichen Ziele und im Sinne gemeinsamer Grundannahmen mit Anpassungen genehmigt. Sie zeigen eine große Bandbreite möglicher Entwicklungen auf dem Weg zur Dekarbonisierung und bieten einen umfassenden Ausblick auf die künftige Energieinfrastruktur Deutschlands.

Verbreiterung der Kostenträgerbasis für die Netznutzung: Sollen sich auch Einspeiser an der Finanzierung der Netzkosten beteiligen?

In Deutschland zahlen derzeit ausschließlich Letztverbraucher Netzentgelte, während Einspeiser von diesen Entgelten befreit sind. Angesichts steigender Netzkosten durch den Ausbau erneuerbarer Energien wird diskutiert, auch Einspeiser künftig an den Kosten der Netzinfrastruktur zu beteiligen. Gerade in Netzen, in denen Einspeisung netzdimensionierend wirkt, würden somit zusätzliche Einnahmen generiert und die Netzentgelte für Letztverbraucher sinken.

Denkbare Modelle reichen von einer hälftigen Kostenteilung bis zu spezifischen Beiträgen für Systemdienstleistungen. Mögliche Preisbestandteile von Netzentgelten für Einspeiser wären etwa Arbeitspreise (€/MWh), Leistungspreise (€/MW), Kapazitätspreise oder pauschale Grundpreise. Herausforderungen bestehen vor allem auch bei der Vermeidung von Marktverzerrungen und beim Umgang mit Bestandsanlagen. Der Umfang der Kostenbeteiligung ist grundsätzlich frei wählbar, jedoch schlägt die BNetzA die Verwendung einer der drei folgenden Szenarien als Grundlage vor:

  • paritätische Kostenbeteiligung zwischen Verbrauchern und Einspeisern (womit die 33 Mrd. € Netzentgelte aus 2025 zur Hälfte über Einspeiseentgelte mitfinanziert würden),
  • die aus der Festlegung zur Verteilung der Mehrkosten aus der Integration von EE-Anlagen bestimmten Beträge den Einspeisern aufzuerlegen (für 2025 wären das ca. 2,4 Mrd. €),
  • Einspeisern einen Kostenbeitrag an den Systemdienstleistungen abzuverlangen, bei deren Entstehen den Einspeisern eine besondere Verantwortung zukommt (z. B. für Engpassmanagement, der Regelleistung oder den Kosten für Verlustenergie (für 2025 wären das ca. 7,3 Mrd. €)

Alternativ oder ergänzend zu den Einspeiseentgelten können Baukostenzuschüsse (BKZ) für Einspeiser im Zuge der Anschlusserstellung und -erweiterung einmalig vom Anschlussnehmer entrichtet werden. Damit könnte ein Preissignal gesendet werden, welches einen Anreiz zum sparsamen Umgang mit Netzanschlusskapazität oder zur netzdienlichen Ansiedlung neuer Erzeugungskapazitäten setzt.

Netzentgeltkomponenten: Mit welchen Preiselementen soll die Netznutzung abgerechnet werden?

Die BNetzA schlägt eine zusätzliche pauschale Zahlung vor, wie beispielsweise ein periodischer anschlussbezogener Grundpreis. Ziel dieser Pauschale soll sein, die durchschnittlichen strukturbedingten Kosten sachgerechter zu reflektieren, da strukturbedingte Kostentreiber in der heutigen Netzentgeltsystematik nicht berücksichtigt werden. Müssen Anschlussnehmer je Netzebene für jeden Anschlusspunkt eine Zahlung in gleicher Höhe leisten, werden die strukturbedingten Kosten oder zumindest Teile davon pauschalierend über alle Netzanschlusspunkte einer Netzebene verteilt.

Darüber hinaus schlägt die BNetzA eine weitere Änderung der Netzentgeltkomponenten vor: der Leistungspreis soll durch einen Kapazitätspreis ersetzt werden. Bei Kapazitätspreisen bestellen Anschlussnehmer im Voraus (ggf. mehrere Jahre) die gewünschte Kapazität. Da das Überschreiten mit einer Pönale belegt wäre, dürften Anschlussnehmer bei der Bestellung einen gewissen Puffer einplanen, sodass sich Spielraum für flexibles Verhalten eröffnet. Zudem könnten Netzbetreiber nicht genutzte Kapazitäten gezielter neu vergeben und so die Effizienz erhöhen.

Dynamische Netzentgelte: Welche zeitliche und regionale Auflösung sollen Netzentgelte haben?

Die Idee hinter einer Dynamisierung ist, dass ökonomisch optimale Netzentgelte die Knappheiten der Netze in ein zeitlich differenziertes lokales Preissignal umsetzen. Dabei schlägt die BNetzA vier verschiedene Ausstattungsvarianten vor.

Zeitvariabel – statisch: Eine einfache Form der Dynamisierung stellen statisch-zeitvariable Netzentgelte dar. Die verschiedenen, im Vorhinein festgelegten Tarifstufen werden mit langem Vorlauf an die Marktteilnehmer kommuniziert, ändern sich selten und gelten meist für große Gebiete. Eine ähnliche Systematik könnte auch auf höhere Spannungsebenen übertragen werden

Zeitvariabel – dynamisch: Konsequent zu Ende gedacht wäre der Dynamisierungsansatz, wenn sich die Netznutzung, neben einem die strukturbedingten Kosten abbildenden Grundpreis, ausschließlich nach dem aktuellen Auslastungsgrad des Netzes bemessen würde.

Lastspitzen herausrechnen: Alternativ zum grundsätzlichen Ansatz könnte der Versuch unternommen werden, lediglich einzelnen Herausforderungen zu begegnen. In den höheren Spannungsebenen sind Netzausbaumaßnahmen in signifikantem Umfang nötig, um erneuerbare Erzeugung ins System zu integrieren, was zumindest kurzfristig zu steigenden Redispatch-Maßnahmen und damit zu steigenden Netzkosten führt. Die Idee der BNetzA ist hier, für lastganggemessene Verbraucher in definierten Gebieten Leistungsspitzen in definierten Stunden nicht abrechnungsrelevant werden zu lassen, wenn am Vortag vom Anschlussnetzbetreiber Redispatch-Bedarf auf Grund von Erzeugungsüberschüssen in der jeweiligen Netzregion prognostiziert wird.

Peak Load Pricing: Öffentlich diskutiert wird auch der Vorschlag, in Zeiten ohne erwartete Engpässe die Netznutzung nicht zu bepreisen. Damit soll noch mehr Flexibilität des Verbrauchsverhaltens möglich gemacht werden.

Bundeseinheitliche Netzentgelte: Vereinheitlichung der Netzentgelte auch auf Verteilernetzebene?

Aktuell sind die Netzentgelte regional unterschiedlich. Mit Inkrafttreten der Festlegung zur Verteilung der Mehrkosten aus der EE-Integration zum 01.01.2025 gleichen sich die Differenzen etwas an, da ein wesentlicher Kostenanteil der Netzbetreiber (Netzausbau aufgrund EE-Ausbau) nicht mehr über die netzbetreiberspezifischen Netzentgelte erlöst, sondern über eine Umlage im Versorgungsgebiet anderer Netzbetreiber erlöst wird. Mit dem stetigen Ausbau der erneuerbaren Energien wird das Gesamtwälzungsvolumen der Mehrkosten aus der Integration dieser in Zukunft stark ansteigen. Somit wird zukünftig eine enorme regionale Verteilungswirkungen zu erwarten sein. Auch aus diesem Grunde wird wieder intensiv über die Einführung eines bundesweiten Ausgleichs der Netzentgelte auf Verteilnetzebene diskutiert.

Speicherentgelte: Wie soll das zukünftige Entgeltregime für mobile und stationäre Speicher aussehen?

Speicher nehmen im Strommarkt eine Doppelrolle ein, da sie sowohl Verbraucher – insbesondere in Zeiten eines hohen Stromangebots und niedriger Preise –, als auch Erzeuger – vor allem in Zeiten eines geringen Stromangebots und hoher Preise – sind. Durch diese Flexibilität können sie einen wertvollen, volkswirtschaftlichen Beitrag zur Vermeidung übermäßiger Preisschwankungen leisten. Heute ist der Großteil der Speicher von Netzentgelten befreit oder zumindest rabattiert. Diese Privilegien entfallen Ende 2028, sollte bis dahin für Speicher keine Nachfolgerregelung existieren, womit Speicher der ganz normalen Netzentgeltsystematik unterliegen würden. Die heutige Vielzahl an Regelungen beim Umgang mit Speichern ist eine Herausforderung bei der Findung eines neuen Netzentgeltregimes für eben diese.

Die BNetzA wünscht sich daher ein Netzentgeltregime für Speicher, dass das Agieren von Speichern an Strom- und Systemdienstleistungsmärkten so wenig wie möglich einschränkt und gleichzeitig einen kostenreflexiven Finanzierungsbeitrag für das Netz erbringt. Für ortsfeste und mobile Speicher in der Niederspannungsebene wurden mit den Festlegungen nach § 14a EnWG zu steuerbaren Verbrauchseinrichtungen bereits ein spezielles Netzentgeltregime geschaffen. Es ist zu diskutieren, ob die drei dort zu wählenden Module der Netzentgeltreduzierung auch auf andere Spannungsebenen und auf engpassfreie Gebiete sowie zu bidirektional agierenden mobilen Speichern passen. Durch zu schließende, flexible Netzanschlussverträge zwischen Netzanschlussbetreibern und Netzbetreibern kann Netzbetreibern das Recht eingeräumt werden, entweder kurzfristig oder weit im Voraus geplante Reduzierungen bei der Netzeinspeisung oder dem -bezug durchzuführen. Durch diese Netzdienlichkeit könnte der Betreiber im Gegenzug einen Rabatt erhalten.

Kurzfazit

Die BNetzA hat mit dem Diskussionspapier einen weiteren Schritt zur dringend benötigten Aktualisierung der Netzentgeltsystematik getan, dessen Neuausrichtung für die kommenden Jahre wegweisend sein wird.

Einspeiseentgelte

Die Einspeiser zukünftig nicht mehr von den Netzentgelten zu befreien ist richtig. Die Umsetzung steht jedoch gerade bei Bestandsanlagen vor Herausforderungen, da eine nachträgliche Veränderung der Kostenstruktur bei installierten EE-Anlagen schwierig umzusetzen wird. Solche Entgelte würden für Netzbetreiber beispielsweise Anreize schaffen, Erneuerbare schneller anzuschließen.

Netzentgelte

Die Einführung eines anschlussbezogenen Grundpreises oder generell einer stärkeren Gewichtung von Grundpreiskomponenten wäre insofern fairer, da auch Prosumer, die das Netz nur selten nutzen, aber im Bedarfsfall die volle Leistung erwarten, stärker an den Netzkosten beteiligt würden. Allerdings hätte dies zur Folge, dass Haushalte mit geringem Einkommen und niedrigem Verbrauch im Verhältnis höhere Netzkosten tragen müssten.

Grundsätzlich sind dynamische Netzentgelte eine sinnvolle Idee, setzen jedoch eine vollständige Digitalisierung des Netzes – auch auf der Niederspannungsebene – voraus. Da dies in naher Zukunft noch nicht flächendeckend gegeben ist, ist eine Umsetzung derzeit nur eingeschränkt realistisch. Zudem würden stark dynamische Netzentgelte die Kalkulation bundesweiter Tarife für Energiedienstleister deutlich komplizierter machen. Zeitlich statische Netzentgelte wären hingegen leichter umsetzbar und könnten einen ersten Schritt in Richtung einer dynamischen Systematik darstellen. Wenn sowohl auf Einspeise- als auch auf Verbraucherseite dynamische Signale wirken, kann dies den Netzbetrieb entlasten und dazu beitragen, dass mehr Anlagen und Verbraucher ans Netz angeschlossen werden können.

Der weitere Vorschlag, Lastspitzen bei der Netzentgeltberechnung herauszurechnen, wäre dagegen wegen des hohen administrativen Aufwands und der Missbrauchsanfälligkeit nur schwer praktikabel.

Speicher

In der neuen Systematik erhalten Speicher eine besondere Rolle, da sie durch ihre Fähigkeit, sowohl Strom aufzunehmen als auch abzugeben, zur Netzflexibilität beitragen können. Entscheidend ist dabei, dass Speicher netzdienlich betrieben werden – und dafür entsprechende Anreize bestehen. In diesem Fall ist auch eine Reduzierung der Netzentgelte gerechtfertigt und sinnvoll. Wird ein Speicher ans Netz angeschlossen und setzt man die Vorschläge der BNetzA um, fallen für ihn sowohl als Einspeiser als auch als Verbraucher Netzentgelte an. Sind diese Entgelte dynamisch gestaltet, erhält der Speicher neben dem Strompreis zusätzliche Preissignale für Einspeisung und Entnahme über die Netzentgelte.

Diese Signale können jedoch im Widerspruch zueinander stehen – etwa dann, wenn die Situation im lokalen Netz von der gesamtzonalen Marktlage abweicht. In solchen Fällen sollte der lokale Netzbetreiber – ähnlich wie nach §14a EnWG – die Möglichkeit haben, im Bedarfsfall steuernd einzugreifen.