Bidirektionales Laden ermöglicht eine Stabilisierung des Stromsystems bei gleichzeitig zusätzlichen Erlösen

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Die Energiewende verlangt nach zusätzlichen Speicherkapazitäten, um die volatil einspeisenden erneuerbaren Energieanlagen netzstabil ins Stromsystem integrieren zu können

Die politisch und gesellschaftlich forcierte Energiewende erfordert Anpassungen am Stromsystem auf unterschiedlichen Ebenen, um auch zukünftig die Versorgung der Allgemeinheit und Industrie mit Strom verlässlich sicherstellen zu können. Durch die fluktuierend einspeisenden erneuerbaren Energieträger werden laut Fraunhofer ISE allein bis 2030 rund 100 GWh Speicherkapazität benötigt, um das (Strom-) Angebot zeitlich von der Nachfrage entkoppeln zu können und Versorgungsrisiken und -unsicherheiten minimieren zu können. Demgegenüber stehen aktuell knapp 40 GWh Pumpspeicherkraftwerkskapazität in Deutschland zur Verfügung. Wie also diese kapazitive Lücke schließen?

Bidirektionales Laden gilt als einer der größten Hebel zur Stabilisierung des Stromnetzes

Nach den Plänen der aktuellen Bundesregierung sollen bis 2030 15 Millionen E-Autos auf dem deutschen Markt sein. Dies entspräche einer Art „Superspeicher“ mit einer Speicherkapazität von ca. 750 GWh. Das bietet somit Potenzial, die prognostizierten Speicherprobleme im Handumdrehen zu lösen. Nach Berechnungen des VDE müssten lediglich 20 Prozent dieser E-Autoflotte überhaupt rückspeisefähig (und angeschlossen) sein, um die neuralgischen 100 GWh liefern zu können. Selbst wenn aktuelle Prognosen zur Elektromobilität bestenfalls von 7 bis 11 Millionen E-Autos bis 2030 ausgehen, ergäbe sich ein riesiges Potenzial.

Das Bidirektionale Laden bietet Nutzern ein attraktives Zusatzprodukt, welches erhebliche Erlöspotenziale bietet; in Frankreich ist das seit wenigen Monaten bereits ein erstes V2G Produkt

Um diese 750 GWh jedoch „freischalten“ zu können, bedarf es bidirektional ladefähiger E-Autos und einer entsprechenden Infrastruktur. Allgemein lassen sich beim bidirektionalen Laden drei Anwendungsfälle unterschieden:

  • Als reiner Akku können elektrische Geräte direkt am E-Auto geladen werden (Vehicle-to-Load; V2L)
  • Überschüssiger Strom (bspw. aus einer PV-Anlage) kann im E-Auto (zwischen-) gespeichert und bei Bedarf wieder ins Haus abgegeben werden (Vehicle-to-Home; V2H)
  • Als flexibler Stromspeicher zur Stabilisierung des Stromsystems durch Ein- und Ausspeicherung ins öffentliche Verteilnetz (Vehicle-to-Grid; V2G)

Diese Varianten bieten E-Autofahrern diverse zusätzliche Erlösmöglichkeiten und attraktive Zusatzprodukte: So lassen sich durch Lastmanagement (Laden außerhalb von Lastspitzen) jährlich mehrere hundert Euro bei einem bestehenden Netzanschluss einsparen. Auch durch die Steuerungsmöglichkeiten nach §14a EnWG durch den Netzbetreiber profitieren Nutzer von reduzierten Netzentgelten. Durch die algorithmusbasierte, flexible Optimierung und den Handel mit PV-Strom ermöglicht bidirektionales Laden erhebliche Energiekosteneinsparungen. Richtig eingesetzt erlaubt V2G sogar, komplett kostenlos zu laden und dadurch THG-Emissionen in maßgeblichem Umfang zu reduzieren.

Am Markt gibt es bereits diverse Produkte, um diese Vorteile abgreifen zu können. Im Oktober 2024 ist in Frankreich bereits das erste V2G-Produkt an den Markt gegangen. In einer Kooperation zwischen Renault und Mobility House können Fahrer des Renault 5 E-TECH über eine bidirektionale AC-Ladestation Strom ins Netz zurückspeisen. Sobald das Auto angeschlossen ist, erhält der Kunde dafür eine stündliche Vergütung, während ein Dienstleister diese Stromreserve vermarktet und so Erlöse durch den (außer-) börslichen Handel und die Teilnahme am Regelleistungsmarkt erzielt. Ganz ohne Mobilitäts- und Batterieeinschränkungen entsprechend des Mobilitätsbedarfs, der Batterielebensdauer (laut Erkenntnissen der RWTH Aachen wirkt sich bidirektionales Laden nicht negativ auf die Akkukapazität aus; der Netzbeschränkungen und der Vermarktungserlöse. In Großbritannien soll ein ähnliches Produkt ebenfalls dieses Jahr auf den Markt kommen.

V2G bietet somit die Möglichkeit, die Speicherpotenziale zu befriedigen und gleichzeitig der Volkswirtschaft und jedem Einzelnen einen Mehrwert zu bieten.

Deutschland muss erst noch den regulatorischen Rahmen schaffen, um V2G-Produkte zu ermöglichen

Obwohl sowohl die technische Hardware als auch die Software zur Verfügung stehen und die wichtigsten Grundlagen zur Nutzung der Technologie vorhanden sind, hat Renault im Mai 2024 den Renault 5 E in Deutschland ohne V2G-Fähigkeit gelaunched. Begründung: Die hinterherhinkende Regulatorik und die Vielzahl der Netzbetreiber mit uneinheitlichen Standards und Verfahrensabläufen.

Um das Potenzial von Vehicle-to-Grid vollumfänglich erschließen und kommerzialisieren zu können, müssen die bestehenden regulatorischen Hindernisse beseitigt werden und der Ruf verschiedener Unternehmen der Automobil-, Digital- und Energiewirtschaft nach einem vereinfachten Messkonzept und flexiblerer Saldierungslogik gehört werden.

Die erste Hürde zeigt sich direkt beim Netzzugang. Hierfür bedarf es zunächst eines individuellen Netznutzungsvertrages, ohne den keine Berechtigung zur Einspeisung aus dem Elektrofahrzeug ins Netz besteht. Dieser muss jedoch vertraglich mit dem VNB vereinbart werden, was für Einzelne nicht unerheblich ist.

Zudem gilt ein (beschleunigter) Smart-Meter-Rollout als unerlässlich, um die Steuerung und dynamische Tarife zu ermöglichen. Allerdings ist der Beschluss der EnWG-Gesetzesnovelle, welche diesen forcieren würde, vor der Bundestags-Neuwahl fraglich und auch die Umsetzung ist je nach Wahlergebnis unter möglichen Koalitionspartnern umstritten. Darüber hinaus sieht selbst das sich in der Novellierung befindliche Stromsteuergesetz keine Erleichterung von V2G-Produkten (bspw. Befreiung von der Stromsteuer) nach derzeitigem Stand vor.

Vorteilhaft hingegen ist, dass nach §21 EnFG E-Autos von der Zahlung von Umlagen auf zwischengespeicherten Strom befreit sind. Dies gilt allerdings nur für später wieder zurück ins Netz gespeiste Strommengen. In diesem Zusammenhang nachteilig ist jedoch, dass die in E-Autos zwischengespeicherten PV-Strommengen ihre EEG-Vergütungsansprüche verlieren, da diese als Mischspeicher angesehen werden, wodurch es nicht auszuschließen sei, dass auch konventioneller Strom ausgespeichert würde. Auch hier verspricht die EnWG-Novellierung durch Einführung einer Pauschaloption zur Förderfähigkeit von in Elektrofahrzeugen zwischengespeicherten Strommengen zumindest im Hinblick auf die Marktprämie eine Abmilderung der Problematik. Aber auch hier gelten die gleichen Bedenken zur Umsetzung des Gesetzesvorhabens.

Als größte Hürde werden jedoch aktuell die doppelten Netzentgelte angesehen: Da sowohl beim Laden als auch Entladen Netzentgelte anfallen (unabhängig davon, wie viel zuvor selbst schon ins Netz ein- oder ausgespeichert wurde), würden hier V2G-Anwendungen doppelt benachteiligt. Aktuell sieht die BNetzA hier wohl noch keinen Handlungsbedarf, dies für Heimbatteriespeicher – unter die E-Autos fallen würden – zu ändern. Für Großbatteriespeicher gibt es eine entsprechende Ausnahmeregelung bis aktuell 2028.

Darüber hinaus bestehen zu verschiedenen Punkten diverse Unsicherheiten, die es vor einer entsprechenden V2G-Marktreife in Deutschland noch zu klären gilt: Aufgrund von Konzessionsabgaben bzw. unklaren steuerrechtlichen Regelungen besteht Uneinigkeit darüber, wie mit Laden bzw. Entladen an mehreren Standorten verfahren werden sollte. Ein vielzitierter unklarer Anwendungsfall wäre in diesem Zusammenhang das steuerbegünstigte Laden beim Arbeitgeber und das anschließende (Zurück-) Laden ins (heimische) Netz.

Um auch in Deutschland noch 2025 V2G-Produkte an den Markt bringen zu können, bedarf es jetzt eines regulatorischen Umbruchs

Die Hoffnung besteht, dass noch 2025 auch in Deutschland die Weichen für Vehicle-to-Grid- und weitere bidirektionale Ladeprodukte gestellt werden. Im Hinblick auf die unsichere politische Situation ist dies jedoch mehr als fraglich, obwohl insbesondere die Regulatorik anderen Ländern bereits jetzt hinterherhinkt. Hier gilt es zeitnah Impulse zu setzen, Hürden abzubauen und sowohl dem Ruf der Industrie als auch von Privatpersonen nachzugehen, um so der Energiewende und gleichzeitig der gesamten Volkswirtschaft Vorschub zu leisten und nicht den Anschluss an andere Länder zu verlieren.