Beteiligungen müssen die Energiewende nicht zwangsläufig ausbremsen, sie können sie sogar beschleunigen

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Bürgerbeteiligungen gelten in der öffentlichen Debatte häufig als möglicher Bremsklotz der Energiewende. Zu aufwändig, zu langwierig, zu kompliziert, so lautet oft das Urteil, wenn Projekte stocken. Eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS Potsdam) kommt hingegen zu einem deutlich anderen Schluss: Beteiligungsverfahren verzögern die Energiewende nicht, im Gegenteil, sie verbessern ihre Qualität, Akzeptanz und langfristige Wirksamkeit.

Im Rahmen des Projekts „BePart – Zur Wirkung von Beteiligung in der Energiewende“ untersuchte das Forschungsteam um Dr. Franziska Mey mehr als 200 Energieprojekte in ganz Deutschland, von Windenergieanlagen an Land über Photovoltaik-Freiflächenanlagen bis hin zu Übertragungsnetzprojekten. Die Datenerhebung erfolgte zwischen 2023 und 2025 und kombinierte quantitative Befragungen mit qualitativen Interviews. Insgesamt wurden über 1.300 Projekte zufällig aus dem Marktstammdatenregister und den Netzausbauplänen (Bundesbedarfsplangesetz, Energieleitungsausbaugesetz) gezogen, davon 189 Projekte detailliert ausgewertet – 84 Wind-, 90 Solar- und 15 Netzprojekte. Die Untersuchung deckte alle Bundesländer außer Bremen und Hamburg ab, mit Schwerpunkten in Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Frühe Beteiligung beschleunigt Projekte und schafft Vertrauen

Was genau unter Beteiligung verstanden wird, definieren die Forschenden präzise. Sie erfassen das Konzept entlang von fünf Dimensionen, die gemeinsam den sogenannten „Beteiligungshandabdruck“ bilden: finanzielle Teilhabe, regionale Wertschöpfung, Kommunikation, Regionalität und Mitsprache.

Der Aspekt Regionalität bezieht sich dabei auf den räumlichen und personellen Bezug eines Projekts. Entscheidend ist, ob die Projektentwickler, Betreiber oder Anteilseigner aus der Region stammen und ob Planungs- und Entscheidungsprozesse vor Ort stattfinden. Je stärker dieser regionale Bezug, desto höher ist laut Studie die Identifikation der Bevölkerung mit dem Projekt und die Bereitschaft, es zu unterstützen. Regionalität steht somit für regionale Eigenverantwortung, lokale Wertschöpfung und kurze Entscheidungswege.

Beteiligt werden sowohl Kommunen als auch BürgerInnen. Gemeinden und Landkreise sind häufig über gesetzlich geregelte Kommunalabgaben oder freiwillige Gewinnbeteiligungen eingebunden. Sie fungieren zudem als Vertragspartner oder Gesellschafter, etwa in Kooperation mit Stadtwerken oder Projektentwicklern. BürgerInnen wiederum können sich finanziell beteiligen, beispielsweise über Energiegenossenschaften, Bürgerfonds oder Nachrangdarlehen, oder werden über Informations- und Dialogveranstaltungen eingebunden. In der Praxis greifen beide Ebenen ineinander: Kommunen vermitteln zwischen Projektträgern und Bevölkerung und gestalten den Dialog maßgeblich mit.

Das zentrale Ergebnis der Studie: Beteiligung verlangsamt die Energiewende nicht. In den untersuchten Wind- und Solarprojekten konnte kein signifikanter Zusammenhang zwischen Beteiligungsintensität und Projektdauer festgestellt werden. Rund 49 Prozent der Projekte wurden planmäßig umgesetzt, weitere 49 Prozent berichteten von Verzögerungen, und lediglich 2 Prozent liefen schneller als geplant.

Etwas differenzierter fällt das Bild beim Netzausbau aus: Hier zeigte sich, dass Beteiligungsverfahren in einigen Fällen zu verlängerten Planungszeiträumen beitragen, da gerade Übertragungsnetzprojekte komplexer sind, zahlreiche Interessengruppen betreffen und meist großräumige Trassenverläufe mit sich bringen. Die Studie betont jedoch, dass auch hier die Ursachen meist im Zusammenspiel mehrerer Faktoren liegen, etwaig in langwierigen Genehmigungsprozessen, föderalen Zuständigkeiten oder technischen Anpassungen infolge von Bürgerdialogen.

Bemerkenswert ist zudem, dass Projekte mit intensiver Kommunikation, etwa durch wiederholte Informationsveranstaltungen oder aufsuchende Beteiligung, im Schnitt reibungsloser verliefen als Projekte ohne Dialogformate. Dennoch gaben rund 22 Prozent der Befragten an, überhaupt keine Kommunikationsmaßnahmen durchgeführt zu haben, meist aus Zeit- oder Ressourcenmangel. Dabei zeigt sich laut Studie deutlich: Wer frühzeitig mit der Öffentlichkeit in Austausch tritt, gewinnt Vertrauen und spart langfristig Konfliktkosten.

Konflikte sind kein Rückschritt, sondern ein Impuls für eine bessere Beteiligung

Etwa jedes fünfte Wind- oder Solarprojekt berichtete von Konflikten mit BürgerInnen oder Gemeinden. Diese Konflikte entstanden jedoch nicht durch die Beteiligung an sich, sondern sie waren häufig der Auslöser, Beteiligungsangebote zu entwickeln. Mehr als die Hälfte der untersuchten Projekte führte finanzielle oder kommunikative Maßnahmen erst nach Beginn eines Konflikts ein.

Finanzielle Teilhabe kann Vertrauen schaffen, führt aber nicht automatisch zu Akzeptanz. Wird sie als ungerecht empfunden, etwa, weil nur vermögendere BürgerInnen profitieren, kann sie Spannungen sogar verstärken. Erfolgreiche Beteiligung lebt daher von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und fairer Einbindung aller Gruppen.

Die Studie zeigt zudem regionale Unterschiede: In Norddeutschland fließen bei rund drei Viertel der Projekte direkte Mittel an Kommunen, während in Ost- und Westdeutschland häufiger Konflikte auftreten. Die Forschenden führen das auf unterschiedliche Landnutzungsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Kommunikationskulturen zurück. Gleichzeitig zeigen sich Sättigungseffekte: In Regionen mit bereits hoher Dichte an Windkraftanlagen stößt weiterer Ausbau teils auf Ermüdung in der Bevölkerung, selbst dort, wo Beteiligungsangebote bestehen.

Beteiligung wirkt dann, wenn sie echten Mehrwert vor Ort schafft

Die Studie betont, dass Beteiligung kein Selbstzweck, sondern ein strategisches Steuerungsinstrument für die Energiewende ist. Gute Beteiligung beginnt früh, ist offen für lokale Perspektiven und wird professionell moderiert, insbesondere dann, wenn Diskussionen festgefahren sind. Kleinere Kommunen benötigen hierfür jedoch mehr Unterstützung und Ressourcen, etwa für Moderation oder Mediation. Die Einführung von Standards oder Siegeln für gute Beteiligungspraxis, wie im Landkreis Steinfurt oder in Thüringen, kann hier Orientierung bieten.

Beteiligung ist am wirkungsvollsten, wenn sie einen echten Mehrwert für die Region schafft. Lokale Auftragsvergaben, regionale Wertschöpfung oder faire Strompreismodelle steigern die Identifikation mit der Energiewende erheblich. Beteiligung wird dann nicht als zusätzliche Hürde wahrgenommen, sondern als Chance, Energie- und Regionalentwicklung sinnvoll zu verbinden. Wichtig bei der Kommunikation ist dabei sie so zu gestalten, dass der Mehrwert für Nutzer an erster Stelle steht und nicht irgendwelche Erklärungen von Funktionen des Vorhabens.

Die Forschenden ziehen ein klares Fazit: Beteiligung ist kein Hindernis, sondern ein Beschleuniger. Sie schafft Vertrauen, verringert Widerstände und stärkt die gesellschaftliche Legitimation der Energiewende. „Gute Beteiligung kostet Zeit, schlechte Beteiligung kostet Akzeptanz“, fasst eine Projektleiterin die Ergebnisse zusammen.

Eine Beteiligung braucht Ressourcen und klare Zuständigkeiten

Gleichzeitig mahnen ExpertInnen aus der Praxis zur Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse. VertreterInnen aus Kommunen und Stadtwerken betonen, dass Beteiligung kein Selbstläufer ist und die Ressourcenfrage ungelöst bleibt. Gerade kleinere Stadtwerke stehen häufig vor dem Dilemma, Beteiligungsprozesse organisatorisch und finanziell zu stemmen, ohne dass diese in Förderlogiken oder Projektkalkulationen ausreichend berücksichtigt werden.

Auch aus Branchenkreisen wird darauf hingewiesen, dass Beteiligung zwar Akzeptanz schafft, aber nicht automatisch Genehmigungen beschleunigt, insbesondere im Netz- und Freileitungsbau, wo Planfeststellungsverfahren, Einspruchsrechte und Fachgutachten nach wie vor entscheidend sind. KritikerInnen warnen zudem, dass zu viele Beteiligungsebenen Prozesse verkomplizieren können, gerade wenn Zuständigkeiten zwischen Kommune, Betreiber und Bevölkerung unklar sind.

Für Stadtwerke und kommunale Energieversorger ergibt sich daraus eine klare Handlungsaufforderung: Beteiligungen sollten strategisch geplant, professionell moderiert und von Beginn an als Bestandteil der Projektentwicklung verstanden werden. Erfolgreich sind vor allem Ansätze, die Kommunikation, Transparenz und finanzielle Teilhabe integriert denken, statt sie erst als Reaktion auf Konflikte einzuführen. Stadtwerke können dabei eine Schlüsselrolle übernehmen, als lokale Schnittstelle zwischen Projektentwicklern, Verwaltung und BürgerInnen. Sie genießen häufig Vertrauen vor Ort und können Beteiligungsprozesse glaubwürdig moderieren.

Langfristig kann Beteiligung damit nicht nur zu einem Akzeptanzinstrument werden, sondern sogar zu einem wirtschaftlichen Erfolgsfaktor. Wer Akzeptanz, lokale Wertschöpfung und Bürgernähe als festen Bestandteil seiner Energieprojekte versteht, wird Projekte stabiler und mit weniger Reibungsverlusten umsetzen können – auch wenn der Weg dahin Zeit und Ressourcen kostet.